Wer ist Anna Kim?
Ein hoch interessanter Mensch, eine begnadete Schriftstellerin, die über die Beziehung zwischen Politik und Individuum verstörend schöne, lyrische Romane schreibt. Bevor ich ihre Romane gelesen habe, hätte ich nicht für möglich gehalten, dass Geschichte über Kolonialisierung, Ausbeutung und Krieg solcher Art sanft durch die Musik der Sprache erzählt werden könnte. Anna Kim macht es nicht nur möglich. Sie vermocht es vielmehr zu vermitteln, dass es eigentlich so sein muss.
Sie sagt:
„Ich sehe mich eigentlich als Autorin politischer Bücher, wobei es mir nicht darum geht, Politik zu erklären oder über sie zu theoretisieren. Mich interessieren die Auswirkungen von politischen Entscheidungen und Entwicklungen vor allem auf das oft entpolitisierte Individuum. Die Schwere dieser Themen ist vielleicht in dieser Ohnmacht zu suchen, die wir uns zum Teil selbst zuzuschreiben haben, indem wir uns immer mehr aus der Sphäre der Politik zurückziehen, zu einem großen Teil aber ist unser Leben bestimmt vom Zusammenspiel globaler Zusammenhänge, die wir nur bedingt steuern können, zumal wir sie nicht einmal verstehen. Sie verständlich zu machen, ist eines meiner Ziele, ein Grund, warum ich schreibe, denn ich glaube, Verstehen und Erkennen sind der Schlüssel zu einer differenzierteren Sicht auf die Welt und wie sie tatsächlich funktioniert.“
Ist Anna Kim Südkoreanerin, Deutsche, Österreicherin, oder Kosmopolitin?
Ist solche Frage dann nötig? Scheinbar ja.
Ich weiß nicht, welche Staatsangehörigkeit Anna Kim hat. Vermutlich die Österreichische. In ihrem Fall ist die Frage ziemlich müssig. Sie wurde 1977 in Südkorea geboren, ist zweijährig mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Als sie vier Jahre alt war, zog die Familie nach Wien, wo sie weiter aufwuchs und Schule besuchte. Sie studierte Philosophie und Theaterwissenschaft.
2004 erschien ihr erster Roman, „Die Bilderspur“. In ihrem zweiten Roman „Die gefrorene Zeit“ beschreibt sie die Suche eines Kosovo-Albaners nach seiner im Krieg verschollenen Frau. Vier Jahre danach folgte „Anatomie einer Nacht“ über eine rätselhafte Selbstmordwelle in Grönland. Für den Roman „Die gefrorene Zeit“ erhielt sie 2012 den Literaturpreis der Europäischen Union. Im Januar 2017 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag ihren jüngsten Roman „Die große Heimkehr“.
Im September 2012 nach der Preiskrönung von „Die gefrorene Zeit“, brachte das Magazin Kultur Korea (hrsg. vom koreanischen Kulturzentrum Berlin) einen Interview-Bericht mit Anna Kim, in dem u. a. versucht wurde, die Identität der Schriftstellerin und somit auch ihrer Literatur zu ergründen. Der Untertitel des Berichts lautete: „Eine Südkoreanerin in Österreich schreibt über Grönland“
Anna Kim als Südkoreanerin zu bezeichnen wäre schwierig. Eine deutsch-österreichische Schriftstellerin mit koreanischen Wurzeln wäre passender. Ihre Romane sind in deutscher Sprache verfasst, sie gehören eindeutig der deutschen Literatur an. Das koreanische Kulturzentrum Berlin begründete offiziell die Weigerung, ihre Lesung zu finanzieren, damit, dass Anna Kims Romane keine koreanische Literatur seien, als würde das eine Rolle spielen.
Auf die müssige Frage „Sie sind in Südkorea geboren, in Deutschland aufgewachsen und leben seit 1983 in Österreich. Verstehen Sie sich als eine Art Kosmopolitin?“, antwortete Anna Kim mit folgenden Worten.
„Der Begriff ‘Kosmopolit’ ist, wie mir scheint, zurzeit ein sehr beliebter, er taucht jedenfalls in den Medien immer häufiger auf. Der Duden definiert Kosmopolit u.a. auch als „eine Tier- oder Pflanzenart, die über die ganze Welt verbreitet ist“. In diesem Sinne sehe ich mich als Kosmopolitin, aber nicht nur mich, sondern jedes menschliche Wesen. Diese Einstimmigkeit der Herkunft und des Wohnortes ist und war nie die Norm, sondern eine Vorstellung, die in ihrer Eindeutigkeit Sicherheit schafft und die Dinge scheinbar vereinfacht, tatsächlich sind viele, wenn nicht mehr Menschen immer schon in mehreren Ländern verankert gewesen, da aber das Ideal bis vor kurzem noch die eindeutige Zugehörigkeit war, wurde alles Uneindeutige verleugnet bzw. ihre Bedeutung heruntergespielt. Ich sagte, bis vor kurzem, weil ich glaube, dass das heutige Ideal in Richtung Kosmopolitismus geht.“
© Spurensucherin








Hinterlasse eine Antwort zu Anna Kim, „Die große Heimkehr“ – Auf den Spuren Antwort abbrechen