Rot und blau seien die zwei Farben des Paradieses in der jüdischen Tradition, lese ich heute,
in der Lektüre von Jutta Ströter-Bender, die mir mittlerweile ein unersetzbares Nachschlagewerk geworden ist.

Diese Vorstellung gefällt mir, das Paradies in Rot und Blau zu abstrahieren. Asiaten würden sagen, ja, sie sind die Farben der Yin und Yang. Wenn Yin und Yang in perfekter Harmonie ineinander passen, ist die Welt in bester Ordnung. Wenn die Welt in Ordnung ist, das ist das Paradies.
Letzte Woche habe ich eine Postkarte bekommen. Eine Freundin schickte mir das Bildnis Maria mit dem Kind, auch Madonna Solly von Raffael genannt. Die Maria wirkt auf mich erstaunlich normal – irdisch. Und das gefällt mir. Auf das Kind achte ich zunächst gar nicht, da ich weiß, dass Renaissance-Maler bei der Darstellung von Kindern oft ihre Schwierigkeiten hatten.
Die Komposition des Bildes ist so ausgewogen, der Ausdruck so lebendig, dass ich immer wieder hinschauen möchte. Ich weiß nicht, wie so etwas möglich ist, aber ich habe den Eindruck, dass sich der rechte Kleinfinger der Maria hin und wider zuckt. Die linke Hand, die das rechte Füßchen des Kindes leicht stützt, ist groß und stark. Das Kind scheint sich wohl zu fühlen. Das ist selten. Bei manchen Gemälden muss ich befürchten, dass das Kind in jedem Augenblick runter fallen könnte.
Mir fällt auch auf: Maria trägt ein rotes Kleid. Und was für ein kräftiges Rot! Da weiß ich, dass ich wieder nachforschen muss. Und wieder gab mir Jutta Ströter-Bender die passende Antwort.
Offenbar musste die Maria nach der Geburt des Kindes die Farbe ihrer Kleidung wechseln. Jetzt trägt sie kein weißes Kleid mehr, das sie als „Immakulata“ kenntlich macht. Nicht, weil sie jetzt nicht mehr unschuldig wäre. Sie sei für die Ewigkeit von jeglicher Schuld befreit, heißt es. Das Rot strahle, so Ströter-Bender, den Glanz des Lebendigen aus, den Wandel im Fleisch, die menschliche Inkarnation.
Es gibt aber scheinbar Unterschiede zwischen der Ost- und Westkirche. In der Ostkirche trägt Maria das Rot als Mantel, „während in der abendländischen Malkunst die umgekehrte Darstellungsweise“ – das Rot als Kleid – seit dem frühen Mittelalter bevorzugt wird. (Ströter-Bender 1992; 150)
Die Farbgebung in der Ostkirche, – Maria im blauen Kleid und roten Mantel -, beruht auf „die Lehre von Sophia, der höchsten Geistnatur der Gottesgebärerin, die als Maria mit dem Mantel des irdischen Lebens über diese Erde ging“.
Ich verstehe es so: Sophia ist die höchste Natur des Geistes. Sie will der Menschheit ein Kind schenken. Der Geist kann aber kein Kind gebären. Also nimmt Sophia die Gestalt der irdischen Maria an, um das Jesuskind zu gebären. Um die Fleischwerdung – ich liebe solche deutschen Worte – zu verdeutlichen, wird Sophia, alias Maria mit einem roten Mantel umhüllt: der Farbe des irdischen Lebens. Das leucht mir ein. Ich muss nur Beweise sehen.
Tatsächlich habe ich eine Freskomalerei im Alwerdi Kloster in Georgien gefunden, die im 11 Jahrhundert entstanden ist. Sie trägt einen purpur roten Mantel. (Bild unten rechts) Ein wenig verwirrend ist es aber, weil die Maria in der Mosaikdarstellung in Hagia Sophia, also einer Ostkirche, einen blauen Mantel trägt (Bild in der Mitte), während eine weitere Freskomalerei in der Kirche Notre-Dame in Montmorillon, also einer westlichen Kirche den roten Mantel zeigt (Bild links). Vielleicht ist die Kirche Notre-Dame in Montmorillon eine orthodoxe Kirche gewesen als sie gebaut wurde. Genau weiß ich es nicht.
Nun – man sollte es nicht zu genau nehmen. Mir ist es letztendlich unwichtig, ob der Mantel rot ist oder das Kleid. Ich wollte nur wissen, warum Raffael die Maria in ein so strahlend schönes rotes Kleid gehüllt hat. Die Antwort habe ich ja. Und das reicht mir.



Literatur
Jutta Ströter-Bender 1992, Die Muttergottes. Das Marienbild in der christlichen Kunst. Symbolik und Spiritualität. dumont taschenbücher. DuMont buchverlag Köln.








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