al-Biruni – „Grenzen des Wachstums“

Weil der Titel „Grenzen des Wachstums“ mich neugierig gemacht hat, habe ich den kurzen Text von al-Biruni gelesen. Es fing gut an mit dem Satz „Die Welt gedeiht durch den Ackerbau und die Fortpflanzung, und beides nimmt im Verlauf der Zeit immer mehr zu.“ Da dachte ich, aha, wie hellseherisch! Will er das nächste Jahrtausend vorwegnehmen, und ökologisch argumentieren? Der erste Wachstumskritiker aller Zeiten? Weit gefehlt. Al-Biruni kam zu einer eigenartigen, aber für seine Zeit angemessenen Schlussfolgerung.  Der große Held muss kommen. Er lebte von 973 bis 1048, und damals vertraute man sich sicher auf Helden.

Er schildert die Zeit, in der der große Held erwartet wird, mit folgenden Worten:

„Als es viele Tyrannen auf Erden gab,  und sie ganz von Unrecht erfüllt war, so dass sie durch die große Menge in ihren Grundfesten erschüttert war und wegen der Heftigkeit der Gewalttaten bebte.“

Diese Beschreibung passt eigentlich ganz gut zur heutigen Situation, nur mit dem Unterschied, dass kein Vasudeva bzw. Krishna kommen wird, um die Welt aus diesem Chaos und Unrecht zu befreien.

Oder doch? Der zeitgenössische junge Berliner Dramatiker Bonn Park bietet ähnliche Lösungsansätze an. Seine Helden/Heldinnen sind jedoch Kim, Jong-Un, Donald Trump und Heidi Klum.


Al-Biruni:

Grenzen des Wachstums

Die Welt gedeiht durch den Ackerbau und die Fortpflanzung, und beides nimmt im Verlauf der Zeit immer mehr zu. Diese Zunahme ist also unbegrenzt, aber die Welt ist begrenzt. Immer dann, wenn einer bestimmten Art von Pflanzen oder Tieren die Möglichkeit gelassen wird, sich auf diese Weise zu vermehren, besetzt sie so viel Raum auf der Erde, wie sie nur immer zu ihrer Ausbeutung und Entfaltung findet. Denn jedes Individuum von ihr entsteht nicht und vergeht dann gleich wieder, sondern es erzeugt zuvor etwas, das ihm gleich ist, ja sogar mehrere solcher gleichen Individuen.

Der Bauer jätet sein Feld, er lässt darauf, was er braucht, und reißt das übrige heraus. So lässt auch der Gärtner die Zweige, die er als fruchtbringend erkannt hat, und beschneidet die anderen. Sogar die Bienen töten in ihrem Stock die Artgenossen, die nur fressen und nicht arbeiten. Ebenso verfährt die Natur, nur tut sie das ohne Unterscheidung, denn ihre Wirksamkeit ist immer ein und dieselbe. So vernichtet sie an den Bäumen die Blätter und die Früchte, sie hindert sie an der Funktion, die für sie vorgesehen ist, und beseitigt sie. So geschieht es auch mit dieser unserer Welt, wenn sie durch die Vermehrung dem Ruin geweiht oder nahe daran ist. Sie hat einen Lenker, und seine Fürsorge um das Ganze ist in jedem seiner Teile gemindert und dem Bösen den Nährboden entzieht. Ein solcher war, wie die Inder behaupten, Vasudeva (gemeint ist  Krishna), denn er kam das letztemal in menschlicher Gestalt und mit Namen Vasudeva, als es viele Tyrannen auf der Erde gab und sie ganz von Unrecht erfüllt war, so dass sie durch die große Menge in ihren Grundfesten erschüttert war und wegen der Heftigkeit der Gewalttaten bebte. (Al-Biruni: In den Gärten der Wissenschaft, Reclam-Leipzig 1988: 226)

© Spurensucherin

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