Pflanze, die heimliche Herrscherin der Welt
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Jeong-Hi Go, Pflanze, die heimliche Herrscherin der Welt. Seoul, Namudosi 2013

Dieses Buch kam 2013 in Korea auf die Welt. Der Titel lautet „Pflanze, die heimliche Herrscherin der Welt“. Es beginnt mit der Fragestellung, wie wäre es, wenn keine Pflanze mehr da ist. Kann der Mensch überleben? Und die umgekehrte Frage; sollte der Mensch aus der Erde verschwinden, würde es der Pflanze jucken? Die Antwort kennt jeder.


Lehrmeister: Goethe · Steiner · Forester
Eines Tages hörten sich Goethe und Schiller gemeinsam einen Vortrag des Botanikers Batsch an. Als sich Schiller nach dem Vortrag äußerte, „Das ist doch eine Betrachtung der Pflanze, wie sie einseitig dasteht!“, nahm Goethe ein Blatt und zeichnete mit einigen Strichen, „wie für ihn der Geist in der Pflanze wirkt.“ Über diese Begebenheit berichtet Rudolf Steiner in seinem Vortrag „Der Geist im Pflanzenreich„. (8.12.1910) Da sagte Schiller, – so berichtet Steiner weiter -, „Was Sie da zeichnen, ist aber doch nur eine Idee!“ Goethe soll darauf hoch erfreut reagiert und bemerkt haben, dass es ihm sehr lieb sei, wenn er Ideen habe, ohne es zu wissen, die man sogar sehen könne.

Steiner kommentiert;
„Gerade die Art, wie ein solcher Mensch wie Goethe in der Pflanzenwelt forscht, … , wie er darin sieht, wie der Geist der Erde wirkt und die Blätter gestaltet, das zeigt uns, wie wir von einem gemeinsamen Geist der Erde sprechen können, der sich nur zum Ausdruck bringt in den mannigfaltigen Pflanzenwesen als in seinem besonderen Organ. Was physisch ist, ist Geist.“ (Rudolf Steiner, Der Geist in der Pflanzenwelt, in: Erde und Naturreiche, hrsg. von Hans Heinze, Verlag Freies Geistesleben 1981. S. 76)

Ja, die Pflanze, um die es hier geht, ist stofflich und ätherisch zugleich, wandelt unaufhörlich, als wolle sie uns vor Augen führen, dass sie im Grunde Ideen-Wesen ist. Man kann sie nicht nur sehen, anfassen, riechen, sondern auch sie sich einverleiben! Da versteht man, wo die Metapher Jesus Christus herrührt. ‚Nur durch mein Tod sollst Du leben!‘ Durch das Verzehren von Pflanzen wird der Mensch erst wahrhaftig zum Element dieser Erde, einem Glied des großen Kreislaufes. Man muss sich nur die ungeheure Schönheit dieser Fügung vergegenwärtigen.

Bücher von Wolf-Dieter Storl eröffnete mir eine neue Welt
Bevor ich diesem etwas seltsamen Autor Wolf-Dieter Storl begegnete, hatte ich zu Pflanzen ein ’normales‘ Verhältnis. Vom April 2009 bis Dezember 2010 veröffentlichte ich eine Artikel-Serie in der koreanischen Fachzeitschrift „Environment & Landscape“ über die Geschichte und Anwendung der Pflanzen aus der Sicht der Gartengestaltung. Während dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, mich intensiv mit dem Wesen der Pflanze auseinander zu setzen. Warum ist der Mensch ein so von Pflanze abhängiges Wesen? Dass ohne Pflanze ein Mensch nicht einmal existieren kann, ist mir erstmals richtig bewusst geworden. Die Auseinandersetzung und das Hinterfragen brachten mich schliesslich zu den alten Kelten. Ich entdeckte ein interessantes Buch von Wolf-Dieter Storl, „Die Pflanzen der Kelten“. Ich habe erfahren, dass es bei den Kelten eine eindrucksvolle Pflanzenmystik gibt. Die Lektüre zwang mich zu einer weiteren Frage; wie steht es mit der koreanischen Pflanzenmystik bzw. -mythologie?

Koreanische Mythenwelt
Ich fing an, in der koreanischen Mythologie zu suchen. Leider muss ich berichten, dass die koreanische Mythologie im Laufe der Geschichte dreimal großen und radikalen Verdrängungsprozessen unterworfen war. Die erste Bereinigungswelle kam im frühen 7. Jahrhundert mit der Einführung des Buddhismus. Die nun ‚königlich‘ gewordene Religion konnte keine magischen Wesen, Naturgottheiten mehr erdulden, die mit den Menschen friedlich nebenher lebten, und den Menschen halfen. Der König wollte sich allein um die weltlichen Dinge kümmern, der Buddhismus kümmerte sich um das Seelenleben. Für die nächste Säuberung sorgte der Konfuzianismus. Diese nüchterne, auf Vernunft basierte Gesellschaftslehre wurde im 14. Jahrhundert die offizielle Nationalphilosophie. Der Konfuzianismus wurde die Grundlage der Verfassung und Gesetze. Er vertrieb jegliche noch verbliebene Mystik aus dem Leben, aus der Kultur und Gesellschaft. Die Schamanen wurden von der gesellschaftlichen Ordnung ausgeschlossen, durften nicht mehr im Dorf leben. Sie werden zu Verstoßenen, von der Gesellschaft verachtet und gefürchtet. Die Schamanen haben dennoch nie aufgehört zu existieren, weil sowohl die Menschen, als auch die Götter nicht gänzlich auf ihren Dienst verzichten wollten und konnten. Sie waren Heiler, Wahrsager, Propheten und Zeremonienmeister in einer Person. Sie heilten Kranke, trösteten die Seele der Toten durch ekstatische Gesänge und Tänze. Vor allem waren sie Medien, über die Götter und Geister mit den Menschen in Verbindung traten.Den dritten und entscheidenden Schlag führten die Missionare aus Europa und Amerika. Sie waren über den noch praktizierten Schamanismus so entsetzt, dass sie diesen ‚barbarischen‘ Brauch systematisch zu vertreiben begannen. Sie bedienten sich einer sehr wirksamen und nachhaltigen Methode. Sie gründeten Schulen und führten ein westliches Bildungssystem ein. Auf diese Weise wurde Koreanern seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine westlich orientierte Bildung zuteil. So haben wir z. B. in der Schule die griechische und römische Mythologie gelesen, anstelle unserer Eigenen. Wir sind mit dem Glauben aufgewachsen, die Eva sei unsere Urmutter und der jüdische Gott hat auch die Halbinsel Korea erschaffen. Natürlich gab es auch koreanische Mythen und Sagen zu lesen und zu hören, sie waren aber stark deformiert und vor allem ideologisiert. Aus den Mythen wurden die ‚lehrreichen Kindergeschichten‘. Bedauerliche Weise wird die koreanische Mythologie von den Koreanern selbst heute noch nicht ernst genommen und als ‚Märchen, die nur für Kinder geeignet sind‘ diffamiert.

Den unterdrückten Schamanen ist es zu verdanken, dass die Mythen in Form von rituellen Epos-Gesängen erhalten und weitergegeben wurden, und noch weitergegeben werden. Es gibt heute noch praktizierende Schamanen, die unbeirrt ihre Riten abhalten. Bei diesen Riten werden die alten Epen immer wieder gesungen, die jedoch mit der Zeit so verschlüsselt wurden, dass nur die Mythenforscher Zugang haben. In den siebziger Jahren des. 20 Jahrhunderts fingen nämlich einige Forscher an, die Epengesänge systematisch zu sammeln und in die moderne Sprache zu übersetzen. Einige davon sind mittlerweile populär geworden. Der Schamanentanz und –gesang ist gar zu Bühnenstücken umgearbeitet worden. Die Geschichte der »Prinzessin Bari« ist eines davon. Im Kap. 3 wird von ihr und ihrem Reich die Rede sein.

Meiner Meinung nach geht es bei der Geschichte der Prinzessin Bari nicht um ein Frauenschicksal in einer patriarchalischen Gesellschaft, wie von den Forschern, Literaten und Künstlern vielfach interpretiert wird. Bei den Mythen kann es nicht explizit um das Schicksal einzelner Menschen gehen. In der Geschichte der Prinzessin Bari, aber auch der »Shim-Cheong«, von der im Kapitel 7 die Rede sein wird, kann man den Archetypus einer Mythologie erkennen, der auf der gesamten Erdkugel verbreitet ist, und u.a. in der Geschichte des Jesus den Gipfel erreicht. Bezeichnend ist, in der ältesten Geschichte sind es Frauen, die die Menschen retten und die Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen. Wen wundert es, dass solche Mythen verdrängt und verformt wurden. Ein himmlisches Wesen wird im Auftrag des Gottes als Menschentochter geboren, um eine bestimmte Aufgabe auf Erden zu erfüllen. Ihre Aufgabe ist die Rettung der Menschen. Sie muss aber zunächst ein schweres Schicksal erleiden und durch den Tod gehen. Zum Schluss erfüllt sie ihre Aufgabe und wurde von Menschen und Göttern offiziell zur Göttin erhoben. Wunderbare Geschichten über Metamorphose, Erlösung, und Leben und Tod, ohne die Vorstellung des ewigen Fegefeuers. Das Leben ist schwer genug, das Sterben nicht weniger. Warum sollten die Götter ihre Geschöpfe auch noch nach dem Tod bestrafen?

Pflanze als Schlüssel zur Mytheninterpretation
In meiner Odyssee mit den Mythen habe ich eine interessante Feststellung gemacht. Bei einigen Mythen, die starkt verformt sind, sind es die Pflanzen, die den richtigen Schlüssel zur Interpretation hergeben, auch wenn sie nicht als Pflanzenmythologien zu erkennen sind. Die Pflanzen sind sehr oft nur im Namen der Heldinnen verschlüsselt.
Das Buch „Pflanze, die heimliche Herrscherin der Welt“ ist nichts anderes als der Versuch, die Rolle der Pflanzen in der Menschheitsgeschichte zu rekapitulieren, so wie die deformierten Mythen zu rehabilitieren. Mit Tulpen, der ersten ‚unnützlichen‘ Pflanze beginnt das Buch und endet mit dem sagenumwobenen Ginkgobaum. Im Schnittpunkt sind Pflanzen postuliert, die außerhalb und innerhalb der koreanischen Mythologie bzw. Naturreligion eine Rolle spielen. Das sind u. a., Weide, Apfelbaum, Hasel, Eibe, Rhododendron (explitzit die mucronulatum var. mucronulatum), Pfirsichbaum und Lotosblume.

Mit diesem Buch ist nur der Anfang gemacht worden. Nach einer langen Odyssee habe ich somit in die Welt eingetreten, in der ich für den Rest meines Lebens weilen möchte.

Inhalt

Einführung – Sie pflanzten Bäume

  1. Die Frühlingskollektion des Schöpfers – Tulpen
  2. Die Meisterinnen der Strategie – die Schönen und die Nützlichen
  3. Das schöne Jenseits – der Blumengarten des Westhimmels
  4. Der Frühling kommt erst, wenn Rhododendron blüht
  5. Die Kraft des Rosa – Pfirsich
  6. Zwischen Wasser und Erde ist die Weide
  7. Lotosblume – warum sich Shim-Cheong ins Meer stürzen
  8. Wie Martin Luther der Eva ihren Apfel zurück gab
  9. Die ewig Jugend der Haseln und die unsterbliche Eibe
  10. Die Hoffnung hängt am Baumwipfel – Ginkgo

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Ich bin die Spurensucherin

Ich suche Spuren – in Bildern, in Büchern, in Orten.
Besonders fasziniert mich Maria:
die Madonna in ihrer Wandelbarkeit, zwischen Kultbild und Kunstobjekt, zwischen Symbol und Sehnsucht.
Ebenso begegne ich Büchern, die nicht laut sind, aber lange nachhallen.

Ich schreibe, wenn eine Spur mich ruft.
Manchmal ist es ein Fresko in einer Dorfkirche, manchmal ein vergessener Eintrag in einem alten Buch.
Mindestens einmal im Monat halte ich eine dieser Fährten fest – in Wort, Bild und manchmal auch Ton.

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